Haupinhalt

11. März 2016
Verstossene Witwen und Geschäfte in indischen Slums. Das sind nur zwei eindrückliche Motive der Fotografin Maria Grazia De Francesco. Am 25. Mai 2016 wird ihre erste grössere Ausstellung in der Photobastei Zürich stattfinden. Sie erzählt von ihrer Ausstellung, ihren Reisen und ihrer Liebe zur Fotografie:
Am 26. Mai 2016 findet für eine Woche ihre Ausstellung in der Photobastei Zürich statt. Was erwartet die Besucher?
Die Ausstellung heisst "Ostracized - Widows of Vrindavan". Ich portraitierte verwitwete Frauen aus Indien, wo Sie ein Dasein am Rande der Gesellschaft fristen. Nach dem Tod ihres Ehemannes werden sie mittelos und verlieren sämtliche Rechte und Ansprüche. Oft werden sie sogar von den eigenen Kindern fortgejagt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig als zu betteln oder Gottesgebete in Tempeln zu singen. Die paar Cents, die sie dafür erhalten, reichen nirgends hin. Deshalb gibt es Hilfsorganisationen, wie Maitri, die sich für diese Frauen einsetzen und ihnen warme Mahlzeiten und Kleider zur Verfügung stellen. Es wird ihnen bewusst kein Geld gegeben, weil die Witwen es paradoxerweise trotzdem ihren Kindern nach Hause schicken würden.

Wie kamen Sie zu den Bildern?
Ich habe Maitri angefragt, ob es möglich wäre, die Witwen zu portraitieren. Sie haben sofort eingewilligt und so reiste ich mit Isabelle Mitchell, einer Freundin und Texterin, nach Vrindavan. Diese Ortschaft ist berühmt für seine Witwen. Sie schrieb die Geschichten der Witwen auf und ich machte die Bilder für die Ausstellung. Wir bekamen unglaublich traurige Leidensgeschichten zu hören. Das Schöne daran ist, dass es doch eine Art Happy End gibt, denn die Frauen haben im Ashram von Vrindavan wieder ein Zuhause gefunden. Die Idee ist, dass wir die Bilder verkaufen und die Mittel, die wir nicht brauchen, um die Kosten für die Ausstellung zu decken, zurück an die Hilfsorganisation fliessen. Ich habe richtig Freude an der Ausstellung. Es war eine Herausforderung und gleichzeitig auch die Erfüllung meines beruflichen Wunsches.

Sie haben eine weitere Bilderreihe in Indien fotografiert. Was bringen Sie in ihr zum Ausdruck?
Ich habe eine Bilderreihe über den Slum, Dharavi in Mumbai realisiert. In dieser wollte ich eben nicht das Elend, die Armut und die schwierigen Aspekte der Slums darstellen. Es ging mir darum, die wirtschaftlichen Zusammenhänge aufzuzeigen. Man glaubt es kaum, aber in den Slums werden mehrere Millionen Dollars durch wirtschaftliche Aktivität, wie Recycling, Töpfern, der Lederproduktion und der Textilindustrie, umgesetzt. Sie bieten Platz für Mikrofabriken auf kleinstem Raum. Natürlich ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Slums eine zwiespältige Sache. Der Fabrikbesitzer verdient den grossen Haufen Geld, während sich die Arbeiter unter schlimmsten Bedingungen für ein paar Cents abschuften. Trotzdem wollte ich dieses Mal nicht die Missstände zeigen, sondern die Gesichter und Geschichten dahinter. Teilweise sind sie spezifisch in den Slum gezogen, weil es da Arbeit gibt, sie einigermassen ihre Familie ernähren können und ein Dach über dem Kopf haben. Es handelt sich um eine richtige Community mit Familien, deren Kinder in Schulen ausgebildet werden. Slums sind ein Phänomen. Das sind entwickelte, dynamische Strukturen, die wachsen und sich in konstantem Wandel befinden.

Um solche Bilder zu machen, muss man sich abgrenzen können. Wie gehen Sie mit dem Leid in den Slums um?
Ich war schon oft in Indien und so schlimm es auch klingt, man gewöhnt sich an gewisse Bilder, wie Armut und Elend. Diesen Abwehrmechanismus muss man entwickeln, sonst würde es einen emotional vollkommen mitreissen. Ich war also schon etwas abgehärtet und dennoch… ich sah das Leid und fühlte mich schuldig für mein privilegiertes Leben in der Schweiz. Dieser Einblick gibt dennoch Energie. Man entwickelt ein gewisses Pflichtbewusstsein und erkennt, wie wichtig es ist, aus den eigenen Chancen möglichst viel herauszuschöpfen. Mir wurde bewusst, dass nichts selbstverständlich ist, vor allem die Opportunität überhaupt Chancen zu haben. Die Menschen in den Slums kämpfen darum eine Chance zu bekommen. Das ist die Energie, die diese Menschen antreibt und spürbar ist. Es ist schwer nicht über das Elend zu berichten. Trotzdem wollte ich eben zeigen, dass das nicht alles arme "Schlucker" sind. Das sind Menschen mit Resilienz und Kreativität, die für ein Recht auf Chancengleichheit kämpfen. Sie versuchen es und geben nicht auf. Das finde ich bewundernswert.

Wie fangen Sie den perfekten Moment ein?
Ich versuche Langsamkeit in die Bilder hineinzubringen. Erst kürzlich habe ich diesen Stil für mich entdeckt. Mit digitaler Fotografie ist die Versuchung gross, lieber zu viele Fotos zu schiessen als zu wenige. Es gibt immer die Option, dass das nächste Bild vielleicht perfekt wird. In letzter Zeit habe ich oft mit Filmfotografie experimentiert. Das zwingt einen dazu, sich mehr Gedanken darüber zu machen, was und wie man aufnimmt.

Was ist ihnen beim Fotografieren wichtig?
Das Fotografieren ist ein stiller Prozess und gleichzeitig möchte man eine laute Botschaft vermitteln. Selber muss man eine gewisse Ruhe und Kühle bewahren und dennoch geht es bei den Bildern um Ausdrucksstärke. Ich möchte durch ein Bild Mitgefühl zeigen und beim Betrachter ein Gefühl auslösen. Persönlich habe ich extrem hohe Ansprüche an Genauigkeit. Die Bilder müssen qualitativ hochstehend sein. Ich glaube, dass wir heute übersättigt sind mit Bildern. Deshalb möchte ich Zeitlosigkeit in meine Bilder hineinbringen. Es gibt sehr viele gute, hingegen nur wenige zeitlose Bilder. Es gelingt mir nicht immer, aber ich bemühe mich stets diese Pfeiler vor Augen zu halten und nach ihnen zu arbeiten.

Sie haben an der Universität Zürich Geographie studiert. Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Schon als Kind liebte ich es zu fotografieren ohne mir grosse Gedanken darüber zu machen. Später am Gymnasium erhielten wir die Aufgabe ein Schwarz-Weiss-Fotoprojekt zu realisieren. Das war wie eine Offenbarung für mich. Ich wollte nichts anderes mehr tun und verbrachte den ganzen Sommer in der Dunkelkammer. Mir wurde bewusst, dass das Fotografieren eine grosse Leidenschaft von mir ist und tief in mir steckt. Ich habe mir sogar überlegt, ob ich etwas in diese Richtung studieren soll. Damals fehlte mir der Mut und ich hatte Zweifel. Ich wusste, dass dieses Gebiet hart umkämpft ist und war unsicher darüber, ob ich talentiert genug bin. Deshalb entschied ich mich dafür etwas "Richtiges" zu studieren. Das Studium war interessant und ich konnte es mit einer anderen Leidenschaft von mir, nämlich dem Reisen, kombinieren. Davon profitiere ich auch heute als Fotografin viel.

Sie sagen das Gebiet ist hart umkämpft, hinzukommt, dass die Technik immer erschwinglicher wird. Wie gehen Sie mit dieser Konkurrenz um?
Ich habe einmal mit einem Fotografen zusammengearbeitet, der das sehr schön visualisiert hat: Auf der Leiter nach oben hat es für jeden ein bisschen Platz. Die Konkurrenz ist sicherlich gross. Durch die digitale Fotografie sowieso. Da hat jeder einmal ein gutes Bild dabei, wenn er lange genug fotografiert. Meiner Meinung nach macht schlussendlich nicht die Kamera den Fotografen aus. Einem richtig guten Fotografen kann man eine Wegwerfkamera in die Hand drücken und er oder sie bringt traumhafte Bilder hin. Um heutzutage ein guter Fotograf zu sein, muss man bereit sein harte Arbeit zu leisten, versuchen neue Stile hervorzubringen und immer up to date bleiben was die sich stetig verändernde Technik betrifft. Ich selbst sehe mich noch auf dem lernenden Pfad. Solange sich neue Wege für mich auftun beim Fotografieren, habe ich das Gefühl richtig zu liegen. Und die Konkurrenz bleibt dabei, wie bei allem.

Was sind ihre Ziele in Bezug auf die Fotografie?
Im Moment bin ich nicht nur selbständige Fotografin, sondern auch angestellt. Beruflich bin ich noch nicht lange dabei und mein Portfolio befindet sich im Aufbau. Mein Ziel ist, dass ich irgendwann nur von der Fotografie leben kann. Am liebsten würde ich auf Auftragsbasis Dokumentarfotografie für Magazine machen. Dokumentarfotografie ist das, was bei mir Herzklopfen verursacht. Zudem möchte ich weiterhin Ausstellen, denn Bilder sind eine eigen Sprache, die etwas erzählen und vermitteln. Ein Traum wäre es in den grossen Galerien von London oder New York auszustellen. Träumen soll man ja.

Weitere Informationen finden Sie auf Maria Grazia De Francescos unter www.maree.ch, auf Facebook und Instagram (mariagrazia.defrancesco).

Zur Ausstellung.
Maria Grazia De Francesco