Haupinhalt

26. Juni 2019
Sie selbst bezeichnet sich als nette, stille Person. Dabei haben es ihre treffsicher abgefeuerten Giftpfeile gewaschen. Die Emmenbrücker Karikaturistin Marina Lutz richtet ihr Visier auf die Mächtigen aus Politik, Religion und Gesellschaft – und hält ihnen mit spitzer Feder nonchalant den Spiegel vor.

Zu dritt stehen sie da, händereibend, gehüllt in ihre Ordenstrachten, Kruzifixe um den Hals, fliessender Speichel in den Mundwinkeln. Lüstern blicken die drei katholischen Kleriker auf den dreistöckigen Dessertraum vor ihnen. Zuoberst, quasi als Sahnehäubchen, ein Schweizergardist, bereit, vernascht zu werden. «Lecker», raunt es durch die Szenerie, derweil die Bildlegende aufklärt: «Durch einen Whistleblower wird publik, dass Schweizer Gardisten im Vatikan vom Klerus sexuell belästigt werden.»

Eine verkappte Rebellin
Urheberin dieser bitterbösen Zeichnung ist die Karikaturistin Marina Lutz, die das Bild eigentlich für das «Bündner Tagblatt» angefertigt hatte. Eigentlich, denn dort wurde es nie publiziert. «Zu heikel», lautete das Verdikt der Tageszeitung, die einen Empörungssturm ihres christsozialen Leserstamms fürchtete. «Macht nichts», dachte sich Cartoonistin Lutz, und packte die illustratio non grata kurzerhand auf das Cover ihres jüngst erschienen Buches «Worauf wir Schweizer stolz sind», in dem sie rund 100 ihrer besten Karikaturen vereint.

«Ich bin eine kleine Rebellin, auch wenn ich gegen aussen hin so nett scheine», sagt Lutz zur Episode und lächelt. Wir sitzen im Atelier der 31-Jährigen in Emmenbrücke. Oberste Etage, Kleingewerbe rundherum, ein herrlicher Blick auf die Reuss, die von Schmelzwasser gut genährt eine Art ungestüme Bedächtigkeit ausstrahlt, deren inspirativer Kraft man sich kaum erwehren kann. In diesem Setting lässt die gebürtige Bündnerin Lutz ihre Ideen gedeihen.

Wunsch nach mehr Konkurrenz
Marina Lutz ist im bündnerischen Rabius aufgewachsen. 2012 schloss sie das Bachelorstudium in Illustration an der HSLU ab und arbeitet seither als freie Künstlerin und Cartoonistin, letzteres unter anderem für das «Bündner Tagblatt» sowie den «Nebelspalter». Als junge Frau, sagt Lutz, besetze sie eine Nische innerhalb der Branche. «Natürlich ist das ein Vorteil für mich. Aber es wäre schön, wenn es mehr junge und vor allem mehr weibliche Karikaturistinnen geben würde.»

Früh hegte Lutz den Wunsch, ihr karikaturistisches Schaffen in konzentrierter Form zu veröffentlichen. Mit dem Buch «Worauf wir Schweizer stolz sind» kann sie seit kurzem einen Haken hinter dieses Vorhaben setzen. Ob Bischof Huonder, Alt-Bundesrätin Doris Leuthard oder Ems-Chefin Magdalena Martullo – sie alle kriegen darin ihr Fett weg. Aber auch der Wolf, das Bündner Parlament, die Schweizer Waffenexporte und die Querelen rund um die AHV kommen unter Marina Lutz’ spitze Feder.

Karikaturisten hauen Leute in die Pfanne. Einverstanden?
Marina Lutz: Das Provokative ist im Sinne einer Diskussionsgrundlage sicher gegeben. Oftmals haben Karikaturen auch etwas Beleidigendes. Aber die Karikatur ist nicht immer böse gemeint, sondern zuallererst ein Kommentar, eine Meinung, die differenziert daherkommt. So gebe ich jedem Bösewicht jeweils auch ein paar sympathische Züge, denn nichts ist einfach nur schwarz oder weiss.

Was macht eine gute Karikatur aus?
Sie muss lustig sein und eine Pointe haben. Eine Karikatur muss zudem andere Standpunkte aufzeigen und dazu anregen, die eigene Haltung zu hinterfragen, ohne dabei allerdings zu sehr ins Moralische und Politische abzudriften. Ich möchte mit meinen Cartoons keine Politik machen, sondern zur Diskussion anregen. Eine Karikatur beobachtet und kommentiert die Politik. Sie selber macht aber höchstens indirekt Politik.

 

«Eine Karikatur, die nicht lustig ist, ist keine Karikatur.»

 

Wie vermitteln Sie komplexe Inhalte als Zeichnung?
Für mich ist es von Vorteil, wenn ich in einer komplexen Sache keine Expertin bin. Wenn ich zum Beispiel eine Zeichnung über die AHV-Steuerreform anfertige, dann habe ich von der Sache zuerst einmal überhaupt keine Ahnung. Das ist gut so, weil mich ein zu tief gehendes Detailwissen einschränken würde. Bei komplexen Themen beschränke ich mich auf das Wesentliche und verliere mich nicht in Details. Und ich sehe alles in Geschichten. Das ist zentral. Schliesslich erzähle ich mit meinen Cartoons Geschichten.

Was möchten Sie auf keinen Fall als Reaktion auf eine Ihrer Zeichnungen hören?
Dass sie langweilig ist. Ich möchte ja, dass meine Zeichnungen etwas auslösen. Und sie müssen lustig sein. Eine Karikatur, die nicht lustig ist, ist keine Karikatur.

Schiessen Sie mit Ihren Zeichnungen manchmal übers Ziel hinaus?
Es kommt schon vor, dass meine Karikaturen nicht abgedruckt oder in einer zensierten Form publiziert werden, weil man sie als zu scharf beurteilt. Meistens stehen dabei wirtschaftliche Interessen seitens der Redaktion dahinter, weil es durchaus Leute gibt, die gleich das Zeitungsabonnement künden, wenn darin eine Zeichnung abgedruckt ist, die ihnen nicht behagt.

Wie gehen Sie mit solchen Ablehnungen um?
Grundsätzlich mag ich es nicht, gefühlt in Handschellen zu zeichnen, weil meine Gedanken dann zu sehr um die Frage kreisen, was ich zeichnen darf und was nicht. In dieser Hinsicht bin ich eine Rebellin, die gerne ihre Freiheiten hat. Zudem finde ich, dass man das Schlechte in der Welt zeigen muss und dabei niemanden verschonen darf, nur weil diese Person vielleicht gerade in einem guten Verhältnis zur Redaktion steht.

Haben Sie auch deshalb Ihr Buch realisiert?
In meinem Buch finden sich tatsächlich einige Zeichnungen, die aus unterschiedlichen Gründen zensiert oder abgelehnt wurden. Dass ich mit dem Buch meine Arbeit vollkommen unzensiert präsentieren darf, hat sicher eine Rolle gespielt. In erster Linie habe ich das Buch aber für mich gemacht. Dies auch deshalb, um der Schnelllebigkeit meines Berufes etwas entgegenzuwirken. Normalerweise ist eine Karikatur heute in der Zeitung und schon morgen im Altpapier. Insofern konnte ich mit dem Buch meinen Zeichnungen ein Stück Beständigkeit verleihen. Letztlich war es ein langjähriger Wunsch, der nun endlich in Erfüllung gegangen ist.

Das Buch trägt den Titel «Worauf wir Schweizer stolz sind». Worauf sind wir Schweizer denn stolz?
Der Titel ist natürlich bewusst provokant gewählt. Ganz allgemein sind wir Schweizerinnen und Schweizer berechtigt, in vielerlei Hinsicht einen gewissen Stolz auf unser Land zu empfinden. Aber auch Helvetia hat ihre Schattenseiten. So ist dieser ironische Titel entstanden. Ein Beispiel dafür: Wir sind stolz auf unsere Neutralität – und exportieren zugleich Kriegsmaterial von bester Schweizer Qualität. Einiges von dem, worauf wir Schweizer stolz sind, ist im Grunde Bullshit oder definitiv nichts, worauf man stolz sein sollte. Zentral ist, dass man über sich selbst lacht. Deshalb spreche ich im Titel nicht von den Schweizern, sondern benutze das mich selbst inkludierende Wir.

Sehen Sie sich als Karikaturistin oder als Künstlerin?
Beides. Sowohl meine Arbeit als Cartoonistin als auch meine Tätigkeit als freischaffende Künstlerin sind mir wichtig. Zwar arbeite ich zu gut 80 Prozent als Karikaturistin auf Auftragsbasis und wende nur einen kleinen Teil meiner Zeit für das freie Kunstschaffen auf. Aber ich möchte auf keinen der beiden Bereiche verzichten müssen, auch, weil sie sich gut ergänzen. Die freie Kunst ist sehr langsam und selten lukrativ. Dafür bin ich vollkommen frei. Die Karikatur hingegen ist schnell und weniger frei. Dafür werde ich direkt bezahlt. Letztlich mache ich beides mit grosser Leidenschaft und empfinde es als grosses Glück, dass ich von meinen kreativen Fähigkeiten leben kann.

 

«Einiges von dem, worauf wir Schweizer stolz sind, ist im Grunde Bullshit oder definitiv nichts, worauf man stolz sein sollte.»

 

Hat sich der Weg zur Karikaturistin von Anfang an abgezeichnet?
Ich habe schon als Kind immer gerne gezeichnet und gemalt. Für mich war früh klar, dass ich etwas Kreatives machen möchte. So richtig forciert habe ich meinen Werdegang als Cartoonistin aber nicht. Nach dem Studium hat sich eher zufällig die Zusammenarbeit mit dem «Bündner Tagblatt» ergeben, für das ich noch heute Karikaturen zeichne. Von da aus führte das eine zum anderen. Es hat sich irgendwie gefügt.

Wie würden Sie Ihren Zeichen-Stil beschreiben?
Stilistisch sind meine Karikaturen von alten Zeichnungen aus der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts inspiriert. Ich bewundere Karikaturisten aus dieser Zeit besonders aufgrund ihres künstlerischen Handwerks und den bestechenden Kompositionen ihrer Zeichnungen. Von dort speist sich mein ästhetischer Anspruch.

Wie würden Sie einen Karikaturisten karikieren?
Der Stereotyp eines Karikaturisten ist eine leicht scheue, bescheidene und zugleich lustige, nette Person, die sich nicht getraut, den Leuten alles direkt ins Gesicht zu sagen, dafür ihre Meinung mit einem Schmunzeln als Zeichnung äussert. Der Karikaturist ist wie der Künstler allgemein ein sensibles Wesen, das viel beobachtet, noch mehr wahrnimmt und deshalb ein Ventil braucht, um seine Empfindungen rauszulassen. Der Karikaturist verarbeitet Gesehenes und Empfundenes als Zeichnung, im Stillen für sich.

2015 wurde ein Anschlag auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» verübt. Wie haben Sie die Nachricht damals aufgenommen?
Das war sehr intensiv. Ich war schockiert, obwohl mich dieses Thema schon länger beschäftigte. Meine Chefredakteurin bat mich tags darauf, das Ereignis zeichnerisch zu kommentieren, was in eine arg unruhige Nacht mündete. Damals ist mir unmissverständlich klar geworden, dass ich nicht bloss eine kleine, lustige Zeichnerin bin, sondern mein Leben unter Umständen gefährdet ist, wenn ich das Falsche zeichne. Das ist mir ziemlich eingefahren. Als Antwort zeichnete ich eine Packung Bleistifte, auf der ein Vermerk angebracht ist, wie man ihn von Zigarettenschachteln kennt: Zeichnen ist tödlich.

Bietet die Realität heute mehr satirische Angriffsfläche als früher?
Ich würde nie behaupten, dass die Welt heute verrückter ist als früher. Immer dort, wo es Menschen gibt, gibt es komische Sachen, komische Menschen und Konflikte. Das ist etwas, was es immer schon gegeben hat und wohl auch immer geben wird.

Haben Sie Lieblingsthemen, die Sie besonders gern illustrieren?
Ich mache gerne Witze über Bischöfe (lacht). Ich habe absolut nichts gegen Religionen, aber wenn es irgendwo starke Machtballungen gibt, gekoppelt an viel Geld und konservatives Denken, dann stellt das für mich eine unwiderstehliche Angriffsfläche dar. Allerdings mache ich Witze über die katholische Kirche nur deshalb, weil ich selber katholisch erzogen wurde. Andere Religionen sind für mich Tabu, ebenso wie Witze über Behinderte, Kinder und den Tod. Hingegen habe ich ein Faible für Tiere. Der Bündner Wolf etwa ist eines meiner wiederkehrenden Sujets, obwohl mich das Thema Jagd persönlich weniger interessiert. Kurzum, meine Lieblingsthemen sind Tiere und Bischöfe (lacht).

 

«Immer dort, wo es Menschen gibt, gibt es komische Sachen, komische Menschen und Konflikte.»

 

Werden demnächst auch Emmer Politiker von Ihnen karikiert?
Ich habe noch nicht so viele Luzerner Cartoons angefertigt. Wenn sich aber die Gelegenheit dazu ergibt, dann klar, sehr gerne. Emmen ist eine spannende Gemeinde, mit vielen positiven, aber auch mit negativen Entwicklungen. Da gäbe es durchaus einiges zu erzählen.

Mehr Infos zu Marina Lutz und ihrem Schaffen finden sich unter http://www.marina-lutz.ch/

Sie wollen sich selbst ein Bild von Marina Lutz' Karikaturen machen? Kein Problem: Wir verlosen drei handsignierte Exemplare ihres Buches "Worauf wir Schweizer stolz sind." Schicken Sie eine E-Mail an kommunikation@emmen.ch mit Betreff Karikatur. Einsendeschluss ist am 7. Juli 2019. Das Los entscheidet.

Autor: Philipp Bucher

Marina Lutz